„Viele Menschen wenden sich mit ihren Problemen an mich“
Wer auf dem Fuldaer Aschenberg lebt, kennt sie: Lisa Mistretta ist im größten Fuldaer Stadtteil großgeworden. Das negative Image, das dem Aschenberg anhaftet, versucht sie zu verändern und setzt sich gleichzeitig für die Bewohner:innen ein, indem sie für einen eigenen Fußballplatz und bezahlbare Mieten kämpft. Im Interview verrät sie, warum sie sich ehrenamtlich engagiert, welche Rolle die AWO für ihr Engagement spielt und wie sich der Aschenberg bis heute verändert hat.
Du bist Beisitzerin im Vorstand der AWO, engagierst dich ehrenamtlich am Aschenberg und trittst auch politisch für die Interessen des Stadtteils ein. Woher kommt deine Motivation für so viel Ehrenamt?
Wenn man sich für etwas interessiert, möchte man daran mitwirken. Man will das, wofür man einsteht, verbessern. Und die Leute machen einen neugierig. Sie kommen vielleicht mit einem Antrag, den sie nicht verstehen. Dann fuchse ich mich da rein und versuche zu helfen.
Wieso hast du dich als Beisitzerin wählen lassen?
Weil ich die Hintergründe des Verbands kennenlernen wollte. Als Ehrenamtliche hat man das nicht im Blick und versteht vieles vielleicht auch nicht. Viele fragen sich, wieso wir diesen oder jenen Kurs vielleicht nicht machen können. Wenn man das dann mit organisatorischen, finanziellen, versicherungstechnischen Schwierigkeiten begründet, verstehen das die Leute oft nicht. Das hat mich neugierig gemacht. Und natürlich war es mir wichtig, dass ich meine Stimme geben kann für etwas, das ich gut finde.
Was sind deine Aufgaben als Beisitzerin im Vorstand der AWO?
Wir treffen Beschlüsse, wir planen Veranstaltungen, wir schauen, dass bei der AWO alles reibungslos läuft, dass alles seine Ordnung hat.
Also die ganze Organisation im Hintergrund.
Genau.
Warum Lisa Mistretta AWO-Mitglied wurde
Wie kam es, dass du dich für die Mitgliedschaft in der AWO entschieden hast und nicht etwa bei anderen sozialen Verbänden wie der Caritas oder der Diakonie eingetreten bist?
Meine Mama hat bei der AWO im Altenheim gearbeitet. So hatte ich quasi von klein auf mit der AWO zu tun. Durch das Programm „Soziale Stadt“ lernte ich neben der Altenpflege andere Seiten der AWO kennen. Ich habe mich dann darüber informiert, was die AWO überhaupt macht. Das hat mich neugierig gemacht und mich als Mitglied eingefangen.
Wie konkret unterstützt du die Menschen heute ehrenamtlich?
Das kommt auf den Fall an. Ich wohne hier auf dem Aschenberg. Viele Menschen kennen mich und sprechen mich auf der Straße an. Es geht oft um Probleme mit der Wohnung, Geld oder den Kindern. Entweder kann ich dann selbst helfen, oder ich vermittle sie zur Sozial- oder Rechtsberatung der AWO.
Wie fing das bei dir mit dem Ehrenamt an?
Wir hatten hier oben auf dem Aschenberg vor einigen Jahrzehnten die Amerikaner stationiert. Als sie abzogen, kamen die ersten polnischen Menschen, um hier zu wohnen. Neben mir ist auch eine Familie eingezogen, die noch kein Deutsch konnte. Das war vor etwa 25 Jahren. Die haben sich auf polnisch über ihre Probleme unterhalten. Da ich mazedonisch – auch eine slawische Sprache – spreche, habe ich einen Teil der Unterhaltung verstehen können. Die Frau hatte offenbar Probleme mit dem Sozialamt. Daraufhin habe ich auf Deutsch nachgefragt. Wir haben uns irgendwie verständigt. Anschließend bin ich mit ihnen zum Amt gegangen und habe dabei geholfen, ihr Problem zu klären. Das hat sich rumgesprochen.
Wie schwierig ist die Sprachbarriere im Ehrenamt?
Wer mit den Menschen zu tun hat, mit ihnen zusammen arbeitet, für den ist das weniger schwer. Aber Leute, die das erste Mal eine Beratungsstelle aufsuchen, haben wegen der fehlenden Sprachkenntnisse oft Probleme, sich zu öffnen. Sie haben Angst, nicht verstanden zu werden, schämen sich dafür, dass sie die Sprache nicht können.
Welchen Tipp würdest du Menschen aus anderen Ländern geben, die die deutsche Sprache noch nicht beherrschen?
Sie sollten ihre Nachbarn kennenlernen, versuchen mit ihnen zu kommunizieren, sich trauen, auf sie zuzugehen, um Hilfe zu bitten. Wenn sie mal Ablehnung erfahren, sollten sie sich nicht entmutigen lassen. Sie sollten sich ihr Umfeld anschauen, schauen, was es hier gibt, und wer Ansprechpartner sind, die bei Problemen helfen können.
Welchen Einfluss haben deine Wurzeln auf dein Ehrenamt?
Das Verständnis, die Toleranz, insbesondere für Eingewanderte, und der Respekt voreinander prägen mich. Meine Eltern kommen aus verschiedenen Ländern und damit verschiedenen Kulturen. Meine Mutter stammt aus Mazedonien, mein Vater aus Sizilien. Ich bin hier geboren und groß geworden, habe daher von kleinauf ganz unterschiedliche Kulturen kennengelernt.
Wie sich der Aschenberg in den letzten Jahrzehnten verändert hat
Hast du den Eindruck, dass sich die Gesellschaft hinsichtlich mehr Toleranz gewandelt hat?
Wenn, dann nur sehr schleichend. Es ist nicht nur die gezeigte Toleranz, sondern auch die gelebte. Das ist noch nicht ganz da, wo es sein sollte. Aber sie ist im Kommen. Die Gesellschaft öffnet sich langsam. Und das finde ich gut.
Hast du im Alltag Stigmatisierung aufgrund deiner Wurzeln erfahren?
Vielleicht mal hier und da in meiner Jugend, aber eher aufgrund meines Wohnortes. Es war der Aschenberg, der die Leute aufhorchen ließ. „Wie du wohnst da oben?“ „Ja ich wohne am Aschenberg.“ Da wurde man schon sofort abgestempelt.
Hat sich das geändert?
Nein. Viele Menschen haben immer noch Angst vorm Aschenberg, obwohl wir viel tun, immer wieder einladen und Dinge zeigen. Viele haben keine Erfahrung mit dem schönen Aschenberg und sind festgefahren in ihrem Denken. Wenn sie aber mal hier oben sind und sehen, dass sich ihre Vorurteile nicht bestätigen, ändern sie auch ihre Meinung.
Wie hat sich der Aschenberg in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ habe ich bei den Projekten mitgemacht. Denn ich möchte meinen Stadtteil verschönern und verbessern. Wir haben ein Bürgerhaus gefordert. Wir, das waren die damalige Bürgerinitiative und Studierende der Hochschule Fulda. Spielplätze beim Bolzplatz und zwischen den Häusern, die Mietergärten. Das waren Dinge, die damals gemacht worden sind. Es ist eine ganze Menge, was wir erreicht haben, aber es ist noch nicht so, dass man sagen kann, jetzt ist alles da und wir können die Füße hochlegen. Die Stadt muss weiterhin hier oben wirken.
Was fehlt noch?
Mein Thema ist der Sportplatz. Den fordern wir schon seit 15 Jahren. Aber da kommt nichts. Unser Sportverein muss seine Heimspiele irgendwo in Haimbach bestreiten. Das Heimatgefühl ist da nicht gegeben.
Für den Sportplatz engagierst du dich auch politisch. War es schwer für dich, in die Kommunalpolitik hineinzufinden?
Ja. Das ganz klar. Ich bin nicht die geborene Politikerin. Es ging auch nicht nur um den Sportplatz, sondern auch um die Wohnungen hier oben, die ständig teurer werden. Einige Mieter klagten über Nebenkostennachzahlungen von mehr als 1000 Euro nach einem Eigentümerwechsel. Ich fragte mich, wie das sein kann. Damit habe ich mich beschäftigt. Bei solchen Problemen musst du den Weg über die Politik gehen.
Wie hoch ist der Mietenanstieg?
Eine 1,5-Zimmer-Wohnung hat bei der vorherigen Wohnungsbaugesellschaft bis 350 Euro warm gekostet. Dann wurde das Haus verkauft, die Mieten sind gestiegen. Die gleiche Wohnung heute kostet 450 Euro. Teilweise kosten Drei-Zimmer-Wohnungen über 1000 Euro. Sobald die Mietpreisbindung der Wohnungen in weiteren Häusern fällt, ist das Risiko hoch, dass dort die Mieten ähnlich stark angehoben werden. Jetzt denke ich an Geringverdiener, die so eine Miete stemmen müssen. Wo soll das hinführen? Zur Wohnungslosigkeit? Das war alles vor dem Ukraine-Krieg. Die Situation ist jetzt noch schlechter.
Was könnte die Stadt da tun?
Die Mietpreisbindung muss weiterlaufen. Und wir brauchen eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft in städtischer Hand.
Interview: Toni Spangenberg