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Ilona Götz wollte sich gegen Ausgrenzung und für Toleranz gegenüber anderen Kulturen positionieren und hat deshalb eine Tanzgruppe im Bürgerzentrum Aschenberg aufgebaut. |
Es begann mit einem Foto. Ja, eines morgens im Jahr 2006 schauten mir aus der Zeitung drei Menschen freundlich entgegen. Das Trio waren Christoph Schmidt (Städtischer Koordinator Soziale Stadt), Adriana Oliveira und Jürgen Brehl (beide AWO). Sie hatten die Aufgabe, das Bürgerhaus am Aschenberg neu zu beleben. Langjährige Überlegungen wie der Sozialraum neu gestaltet werden kann waren vorausgegangen, Fördergelder im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ standen bereit. Nun suchten sie Unterstützung, um Leben ins Haus zu bringen. Es stand leer, weil die Großküche von Grümel ausgezogen war. Vom ehemaligen chinesischen Restaurant waren nur noch Tische und Bestuhlung übriggeblieben (roter Samt!) – und eine Kegelbahn gab es im hinteren Bereich. Alles sah im Vergleich zu heute ziemlich trist aus. Ich traf die drei in ihrem kleinen Büro, das noch hinter der Kegelbahn versteckt war. In Erinnerung sind mir die strahlendblauen Augen von Christoph, das brasilianische Temperament von Adriana und die Rhöner Gelassenheit von Jürgen. Und die Frage, ob ich „nur Volkstanz“ oder auch Tango-Kurse anbieten könne. Tango wollte Jürgen nämlich unbedingt lernen.
Meine Beziehung zum Aschenberg hatte mich zur Kontaktaufnahme veranlasst. Vor vielen Jahren ging ich als Horaser Mädchen in die damals neu erbaute Bonifatiusschule. Sie lag „ganz oben“ am Aschenberg, war quasi das letzte Haus. Rundum gab es nichts, nur Schrebergärten. Im Winter fuhr meine Klasse vom Wasserbassin aus mit dem Schlitten bis zum Schulhof. Das war Sportunterricht, denn die Turnhalle war noch nicht fertig. Die weitere Bebauung des Plateaus mit dem Einkaufszentrum und den Kirchen folgte erst später, ebenso wie der Bau der Hochhäuser. Das war für mich eine Attraktion! Hochhäuser gab es in meinen Augen nur in großen, wichtigen Städten wie Frankfurt zum Beispiel. Mir fehlte da der Vergleich, denn das Fernsehen sendete damals auch nur drei Programme.
Nach dem Abitur hatte es mich in die Ferne gezogen und irgendwann 15 Jahre später war ich wieder nach Fulda zurückgekehrt. Die Stadt hatte sich zum Positiven gewandelt, war offener und interessanter geworden. Der Aschenberg aber galt als sozialer Brennpunkt. Alleinerziehend und in Teilzeit berufstätig hatte ich im jugendlichen Alter von 40 eine Ausbildung zur Tanzleiterin Seniorentanz gemacht. Beim Tanzen können alle Nationen zusammenkommen – man muss nur rechts und links verstehen. Das veranlasste mich dazu, mich sozial zu engagieren und gegen die Ghettobildung anzukämpfen. Als ich anbot, ehrenamtlich eine Tanzgruppe aufzubauen, waren die drei ziemlich erstaunt: Es kommt nicht oft vor, dass sich jemand freiwillig meldet, der nicht vorher schon irgendwie einen Bezug zu irgendwem gehabt hat.
Die Gruppe bestand zunächst nur aus 6 Tänzerinnen und 1 Tänzer, nur sehr langsam wurden es mehr. Viel Geduld war erforderlich. Aber schon beim Stadtteilfest im Sommer konnten wir drei Tänze präsentieren, unter anderem einen Squaredance, was gar nicht so einfach ist. Bevor die Corona-Pandemie die Aktivitäten unterbunden hat, waren regelmäßig an die 20 Frauen montags im Training. Auf der Liste stehen über 30, die aber auch noch Arbeitsstellen haben und manchmal anders eingebunden sind.
Adriana überredete mich im Herbst, einen Miniclub für junge Mütter mit Kleinkindern anzubieten. Diese Kurse hatte ich schon für die Volkshochschule gegeben. Zusammen mit Gabriele Wagner-Heil starteten wir das nächste Gemeinwesenprojekt. Es wurde mit Geldern von LOS gefördert, also vom europäischen Sozialfond. Nach einem Jahr konnten wir drei Frauen überzeugen, eine entsprechende Qualifizierung zu machen und später unsere Gruppe zu übernehmen (Irene Keck-Ballau, Nathalie Schmidt, Tatjana Ruff). Das war ein Glücksgriff, denn sie haben zwischenzeitlich sogar mehrere Miniclub-Termine parallel angeboten und sich auch persönlich weiterentwickelt.
Meine Gruppenarbeit resultierte darin, dass ich oft Ausflüge und andere gesellige Aktionen organisierte. Als Highlight gelten die Fahrten zu den Bad Hersfelder Festspielen. Es gibt Leute, die behaupten an der Vorstellung weniger interessiert zu sein als an unserem gemeinsamen Picknick, das vorher im Grüngürtel der Burgruine stattfindet. Hierfür bringen alle etwas mit und alle können die leckeren internationalen Speisen (und Getränke) kosten. Nicht selten treffen uns neidische Blicke der vorbeischlendernden Festspielbesucher.
Bei so viel ehrenamtlichen Engagement blieb es nicht aus, dass 2010 die Frage auftauchte, ob ich nicht den Aschenberg im Vorstand des AWO Kreisverbandes vertreten wolle. Es kam wie es kommen musste: Ich ging hin und wurde auf Anhieb Schriftführerin. Angeblich hatte ich ein Talent zum Protokollschreiben. Nach zwei Jahren musste aber wieder eine neue Schriftführerin gesucht werden, denn da wurde ich Kreisvorsitzende.
Es war eine spannende Zeit, in der ich die Kolleginnen und Kollegen vom AWO Bezirksverband Hessen-Nord bei Tagungen und Sitzungen kennenlernte und sogar als Abgeordnete bei der AWO Bundeskonferenz in Bonn dabei sein konnte. Festredner war Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung), der uns als Bayer mit einem „Glückauf“ begrüßte und in seinen Ausführungen darüber nachdenken ließ, ob Sankt Martin denn beim Teilen des Mantels nicht einfach nur ein kleines Stückchen hätte hergeben müssen. Wie groß muss das Teil sein, das man abgibt, damit niemand frieren muss?
Im Jahr 2014 wechselte ich auf eine Teilzeitstelle beim AWO Kreisverband, der mit Förderung durch die hessische Landesregierung ein WIR-Projekt „Interkulturelle Öffnung“ initiiert hatte. Vorstandsarbeit und Angestelltenstatus schließen sich aus. Meine ehrenamtliche Karriere war damit zu Ende. Seitdem bin ich als Multiplikatorin unterwegs. Das „Büro Aktiv“ der AWO betreut nun ca. 300 Ehrenamtliche und 150 Engagierte auf Übungsleiterbasis. Von diesen haben mehr als ein Drittel Migrationshintergrund, was zeigt, dass unser Ansatz „jede und jeder ist willkommen und kann sich einbringen“ funktioniert. Herkunft, Alter, Geschlecht – das spielt alles keine Rolle. Nur die Gesinnung muss stimmen: Wir stehen für Solidarität und Offenheit. Und wir haben ein offenes Herz (auch im Logo). Wann bringen Sie sich ein?