„Die Jugendarbeit ist etwas, das mir taugt.“
Ursprünglich wollte Christoph Eisermann einen Skateladen eröffnen und damit ein Hobby zum Beruf machen. Doch er entschied sich stattdessen für das Studium der Sozialen Arbeit und leitet heute die Hilfen zur Erziehung (HzE) bei der AWO in Fulda. Wie es dazu kam und welchen Aufgaben er sich in seinem Job widmet, verrät er im Interview.
Wann stand für dich fest, als Sozialarbeiter arbeiten zu wollen?
Ich muss gestehen, dass ich mein Abi in der 13. Klasse abgebrochen und dann in Eschwege mein Wirtschaftsabi angefangen habe. Um das zu beenden, habe ich in den Werra-Land-Werkstätten und -wohnheimen für Menschen mit Beeinträchtigung ein Praktikum gemacht. Insgesamt war ich 2,5 Jahre lang dort. In der Zeit habe ich gemerkt, dass mir das alles unheimlich viel Spaß macht, und bin in den Bereich der Bildungswerkstätten gegangen, habe also mit Jugendlichen zusammengearbeitet.
Wie ging es im Anschluss weiter?
Ich habe das Angebot bekommen, einen Skateladen aufzumachen, die Ausbildung bei den Werra-Land-Werken zu machen und hatte als dritte Option für mich immer noch das Studium. Ich habe online nach Sozialer Arbeit gesucht. Da kam Fulda als Treffer, und heute sitze ich hier. So bin zum Studium gekommen, weil ich an einem Nachmittag gesagt habe, eigentlich wäre studieren ganz schön.
Wie war das Studium? Hat es deinen Erwartungen entsprochen?
Ich habe am Anfang gedacht, puh, studieren, das wird jetzt eine Hausnummer. Das war auch so, gerade, was das wissenschaftliche Arbeiten, die Hausarbeiten anging. Ich habe aber das große Glück gehabt, dass ich mich da gut reinfuchsen konnte und in den letzten Semestern große Fortschritte gemacht habe. An sich fand ich das Studium aber nicht schwer.
War für dich klar, in welchen Bereich der Sozialen Arbeit du wolltest?
Ich habe von Anfang an gesagt, dass die Jugendarbeit aufgrund meiner Vorerfahrung und der Arbeit im Berufsbildungsbereich der Werra-Land-Werkstätten etwas ist, was mir taugt. Darüber hinaus hatte ich im fünften Semester noch die Möglichkeit, ein Praktikum in der Jugendkulturfabrik (JKF) zu absolvieren. Da konnte ich eine Fußballreise begleiten. Mir hat die JKF als Einrichtung wahnsinnig gut gefallen, sie ist bis heute ein Haus mit vielen Facetten und Möglichkeiten. Letztlich habe ich dort auch mein Anerkennungsjahr gemacht und 2012 abgeschlossen. Dort habe ich gemerkt, dass ich mich sehr wohl bei der Arbeit mit Jugendlichen fühle, und bis heute null Berührungsängste habe. Ich hatte über einen Zeitraum von vier Jahren ähnliche Lebensverhältnisse wie Jugendliche in der Jugendhilfe, sehr prekär, mit allem drum und dran. Deshalb habe ich Verständnis, wenn das ein oder andere nicht so gut klappt, wie es eigentlich klappen sollte.
Wie Christoph zur AWO kam
Erinnerst du dich noch gut an diese vier Jahre?
Das hat in der 12. Klasse angefangen, als ich zuhause ausgezogen bin. Das war schon heftig, was da zum Teil abgelaufen ist, ich habe auch viel Glück gehabt. Ich habe es immer geschafft, den Kopf im richtigen Moment aus der Schlinge zu ziehen. Ich hatte auch ein gutes Umfeld, das mir gesagt hat, wenn du so weitermachst, dann haben wir ein Problem, Junge. Aufgrund der Erfahrung bin ich mit den Themen der Jugendlichen vertraut. Man probiert viel aus, ist am Testen.
Wo siehst du Parallelen zu den Jugendlichen, mit denen du heute arbeitest?
Dieses Sammeln von Grenzerfahrungen, wie kann ich mich noch beweisen, wie kann ich dem anderen beweisen, dass ich noch cooler bin. Dieses Heimatlose: Wo gehöre ich hin? Wem kann ich mich anvertrauen? Das ist für mich mittlerweile ein Bereich meiner Arbeit, der mir unheimlich wichtig ist. Ich bin Ansprechpartner für die Jugendlichen, stehe ihnen, ohne sie zu bewerten, zur Seite.
Bist du nach deinem Anerkennungsjahr im Anschluss an das Studium direkt bei der AWO gelandet?
Nein, ich durfte nach meinem Anerkennungsjahr noch rund fünf Jahre weiter in der JKF arbeiten. In dem Zeitraum habe ich auch die mobile Jugendarbeit in der Innenstadt koordiniert.
Warum bist du nach fünf Jahren gegangen?
Der ausschlaggebende Grund war meine familiäre Situation. Meine Frau war zum zweiten Mal schwanger, unsere zweite Tochter ist zur Welt gekommen. Das war der Punkt, an dem ich dachte, permanent in einem Jugendtreff rumzuspringen, passt nicht mehr zu meiner Lebenswelt. Ich habe damals die Möglichkeit geboten bekommen, bei Kolping eine Wohngruppe zu koordinieren für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das habe ich ein Jahr lang gemacht und in dieser Zeit festgestellt, dass ich den Anforderungen nicht wirklich gut gewachsen bin. Insbesondere die Schichtarbeit, mit einem kleinen Kind zu Hause, hat mir das Genick gebrochen. Ich habe dann die Reißleine gezogen, gekündigt und bin erst einmal ein Jahr lang in die Arbeitslosigkeit gegangen. In der Zeit habe ich mich intensiv um den Haushalt und die Kinder gekümmert und sehr viel gejobbt. Danach habe ich für ein halbes Jahr einen kleinen Jugendtreff am Gallasini-Ring koordiniert.
Und im Anschluss bist du zur AWO gekommen?
Genau. Adriana Oliviera, Quartiersmanagerin in Ziehers-Süd, hat mich zu einem Gespräch eingeladen. Sie sagte, „Christoph, wir haben da ein zwei Ideen, über die ich mich gerne mit dir unterhalten würde“. Adriana hat mitbekommen, was ich da im Stadtteil gemacht habe und mir angeboten, in Ziehers-Nord eine Bedarfsanalyse für Jugendarbeit durchzuführen. Sie sagte mir, wenn ich meine Arbeit gut mache, werde ich in der AWO Fuß fassen und wahrscheinlich eine Leitungsfunktion ausüben können. Damals habe ich noch gesagt, „Ja klar, warten wir mal ab“. Im Anschluss an das Projekt bin ich in den Bereich der Hilfen zur Erziehung (HzE) gegangen. Und so hat sich das die letzten dreieinhalb Jahre weiterentwickelt. Das war für mich ein Geschenk. Das hat mir ein unglaublich tolles Gefühl gegeben. Wir haben hier einfach ein tolles Team mit tollen Kollegen, wo ich seit dem ersten Tag froh bin, für die AWO arbeiten zu können.
Was Hilfe zur Erziehung bedeutet
Was genau sind die Hilfen zur Erziehung?
Für die ausführende Arbeit mit den Familien und Jugendlichen haben wir unterschiedliche Angebote, die wir durchführen: die intensiv sozialpädagogische Einzelfallhilfe, die sozialpädagogische Familienhilfe, die Betreuungshilfe. Es geht im Prinzip darum, Menschen in prekären Lebenslagen und Krisen zu unterstützen, dass sie über Hilfe zur Selbsthilfe wieder in der Lage sind, ihr Leben eigenständig zu meistern.
Und diese Arbeit leitest du?
Ja, zehn Stunden meiner Arbeitszeit pro Woche leite ich die HzE und 20 Stunden sind der ausführenden Arbeit mit den Jugendlichen vorbehalten. Bei der Leitung geht es um die Frage, wie wir an unsere Fälle rankommen. Das Fam-Team, dort setzen sich alle Träger mit dem Magistrat der Stadt Fulda zusammen, stellt uns die Fälle vor. Wir schauen dann, mit welchen Ideen wir die Menschen mit Unterstützungsbedarf abholen könnten und bewerben uns um die Aufgabe. Wir arbeiten aber auch eng mit der Jugendhilfe im Strafverfahren zusammen. Der Jugendrichter teilt uns dann Fälle zu.
Was sind typische Krisen und Problemlagen der Jugendlichen?
Was uns immer wieder begegnet ist Chancenungleichheit aufgrund finanzieller Engpässe, aufgrund von Bildungsungleichheit. So löst Arbeitslosigkeit bei den Eltern oft Krisen aus. Die sozialen Bindungen brechen dann weg. Auch Suchterkrankungen und prekäre Lebensverhältnisse sind große Themenfelder, mit denen wir des öfteren konfrontiert werden. Solche Lebenslagen häufen sich in einigen Stadtteilen. Bei jungen Menschen führt das oft zu Perspektivlosigkeit. Thema sind auch Ängste und Gewalt.
Wie lange sind die Jugendlichen bei euch in der Hilfe?
Das kürzeste, was wir hatten, war ein halbes Jahr. Ansonsten kann sich das auf bis zu drei Jahre ausweiten. Dabei handelt es sich dann meist um Fälle der sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) mit entsprechender Nachbetreuung.
Welchen Anteil nimmt die Arbeit mit den Eltern ein?
Das kommt darauf an, welche Form der Hilfe wir ausführen. Es gibt Jugendliche, bei denen ist dieser Anteil sehr gering. Bei der SPFH wiederum ist der Anteil weitaus größer. Wir versuchen aber, alle wichtigen Kontakte der Jugendlichen einzubeziehen.
In welchem Alter sind die Kinder und Jugendlichen?
Wir hatten eine Familie begleitet, in der waren zwei Kinder ein Jahr alt und die älteste Tochter 17. Wir haben aber auch junge Erwachsene, die schon 21 sind.
Was ist deine größte Motivation an der Arbeit?
Dass ich Menschen dabei unterstützen kann, zu lernen morgens aufzustehen und zu sagen: „Ich habe Bock auf den Tag.“ Das ist mein übergeordnetes Ziel.
Wie gelingt es dir, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen?
Ich mache fünfmal die Woche Sport, habe da meine persönlichen individuellen Ziele. Das gibt mir Raum, um die Arbeit mit den Jugendlichen zu verarbeiten und eine Distanz aufzubauen. Natürlich berühren mich die Schicksale, aber so gelingt es mir, Arbeit und Privates zu trennen. In dem Moment, in dem ich zu Hause die Tür aufmache und mich meine Kinder begrüßen, bin ich bei meinen Kindern. Meine innere Arbeitstür geht dann zu.