Michael Bolz ist Zeitzeuge für die Jahre 1986 – 1992.Er war in der Beratungsstelle und Fahrradwerkstatt für jugendliche Arbeitslose. |
Ich war selbst noch ein junger Erwachsener, als ich durch einen Freund 1988 zur Beratungsstelle für jugendliche Arbeitslose der AWO kam. In den 80igern war das Angebot für Jugendliche, insbesondere für arbeitslose junge Menschen oder Randgruppen (damals Fuldaer Punkszene), recht überschaubar. Die AWO bot den jungen Menschen einen Platz, an dem sie sich treffen konnten, wo gemeinsam gekocht und geplaudert wurde. Der Gruppenraum und die Küche wurden quasi täglich genutzt.
Die Angebotsstruktur der AWO war für die damalige Zeit gut aufgestellt und bot jungen Menschen aus Fulda eine Möglichkeit, sich einzubringen und mitzumachen. Zu den Angeboten und Aktivitäten der Beratungsstelle gehörten unter anderem ein Arbeitslosenfrühstück, geschlechterspezifische Arbeits- und Beratungsangebote und Arbeitsgruppen. Die Angebote hatten stets eine hohe Frequentierung von jungen Menschen. Allein beim regelmäßigen Arbeitslosenfrühstück kamen bis zu 30 Personen aus der Punker- und Obdachlosenszene zusammen. Das Frühstück diente zum Austausch und zur Absprache von Aktivitäten und geplanten Aktionen.
Den jungen Menschen wurde vieles Geboten, die Aktivitäten reichten von Konzertbesuchen, Wochenendfreizeiten bis hin zu Jugendbegegnungen im Ausland. Höhepunkte waren sicher die Jugendbegegnungen mit Punks aus Manchester in England, sowie die Hilfstransporte und Renovierung eines Kinderheimes in Rumänien.
Die Fahrradwerkstatt, damals noch in der Nikolausstraße in Fulda, war ein weiteres attraktives Angebot der Arbeiterwohlfahrt für junge Menschen. Ich selbst war dort lange tätig. Durch meine Ausbildung als Schlosser konnte ich meine Fertigkeiten einbringen und andere Jugendliche anleiten. Man konnte sein Fahrrad oder Moped reparieren und sich ein paar D-Mark als Tagelohn verdienen. Für straffällige Jugendliche bestand darüber hinaus die Möglichkeit, die vom Jugendgericht verordneten Arbeitsstunden zu absolvieren. Nicht selten brachte der damalige Jugendrichter Hartmann sein Fahrrad zur Reparatur, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen.
Die Fahrradwerkstatt diente zudem als Lager und Ausgangpunkt für Wohnungsrenovierungen, die vom Landkreis Fulda in Auftrag gegeben und von den jungen Leuten ausgeführt wurden. Im ersten Stock, über der Fahrradwerkstatt, wurde zeitweise von Jugendlichen der Punkerszene ein „Café“ in Eigenregie betrieben.
Im Jahr 1992 wurde die Förderung der Beratungsstelle durch das Bundesministerium für Familie und Senioren eingestellt, worauf die Beratungsstelle schließen musste. Das wöchentliche Arbeitslosenfrühstück wurde auf meine Initiative hin in den Jugendtreff der Stadt Fulda, damals an der Ochsenwiese, verlegt. Da es keine Anlaufstelle mehr für die Zielgruppe gab, außer das Arbeitslosenfrühstück, wurde in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Fulda und dem Jugendwerk der Arbeiterwohlfahrt das Projekt „Tagestreff für Jugendliche Randgruppen“ in der Langebrückenstraße 14 ins Leben gerufen.
Federführend von Frau Professorin Irmhild Poulsen und mir wurde der Tagestreff für „Jugendliche Randgruppen“ und die Fahrradwerkstatt in der Langebrückenstraße installiert. Hieraus entstanden in den Folgejahren das heutige L14 und erneut eine Fahrradwerkstatt. Leider wurden die Gebäude im Jahr 2020 abgerissen. Die Rumänienhilfe ist bis heute durchgehend aktiv und wird mittlerweile vom Verein YouRoPa organisiert.
Meine Zeit bei der Arbeiterwohlfahrt hat mich dazu veranlasst, nach der Schließung der Beratungsstelle und Fahrradwerkstatt selbst einen sozialen Beruf zu ergreifen und an der Fachhochschule Fulda Sozialpädagogik zu studieren. Die Arbeiterwohlfahrt hat meine Biografie stark geprägt. Ich bin noch heute im Sozialwesen als selbstständiger Berufsbetreuer tätig.
Ich freue mich darüber, dass viele der damaligen Projekte nachhaltig bis in die heutige Zeit andauern und sich immer weiterentwickeln, damit benachteiligte Gruppen und junge Menschen unterstützt und begleitet werden können.