|
|
Anlässlich des 50. Jubiläums verfasste Ilse Hosemann diese Erinnerungen an ihre Schwiegermutter und die Anfangsjahre der AWO in Fulda.
(Ilse wohnte mit Erna Hosemanns Sohn Martin bis 1955 in Fulda, dann in Langen) |
Kurz nach dem Krieg war es schon eine Besonderheit, ein Fahrrad zu besitzen; mit einem Bezugsschein erhielt meine Schwiegermutter in Fulda so ein notwendiges Fahrzeug, denn wegen ihrer schweren Arthritis in den Knien, worunter sie sehr litt, waren längere Fußwege fast unmöglich. Also stieg Erna Hosemann, Vollblut-Sozialdemokratin aus Berlin durch die Kriegsereignisse nach Fulda verschlagen und selbstverständlich schon in der wiedergegründeten SPD tätig, aufs Fahrrad! Damit radelte sie dann zum ersten Büro der AWO am Peterstor, später in die Rittergasse und oft als SPD-Stadtverordnete zu den Sitzungen ins Stadtschloss. Dazu musste das Fahrrad natürlich jedesmal aus dem Keller des Hauses Schildeckstraße 3 hochgeschleppt werden. In der Stadtschule half sie beim Kochen der Schulspeisung. Da wurden erste, feste Freundschaften geschlossen zu den späteren Helferinnen der AWO: Gretel Nixdorf, Anni Erb, Käthe Möller, um nur einige zu nennen. In den engen und kleinen Räumen des Büros in der Rittergasse ging die Arbeit erst richtig los, da wurden Care-Pakete ausgegeben und amerikanische Kleiderspenden sortiert und verteilt. Aus großen Tonnen mit Milch- und Eipulver wurden Tüten abgefüllt, gewogen und ausgegeben. In der Nähstube voller alter, gespendeter Nähmaschinen wurden viele Kleidungsstücke, vor allem für Kinder, angefertigt. Wöchentlich trafen sich ca. 10 Frauen. Erna Hosemann schnitt die Stoffe zu, von Fuldaer Firmen gespendet, und jahrelang wurde kurz vor Weihnachten der Wohnzimmertisch in der Schildeckstraße 3 ausgezogen, um einen ganzen Tag lang mit vielen Helferinnen gemeinsam zu packen, auch gesammelte Süßigkeiten, so dass jede hilfsbedürftige Familie – es waren viele Flüchtlinge nach Fulda gekommen – bei der AWO-Weihnachtsfeier ein großes Paket erhielt. Motor und Mittelpunkt aller Aktivitäten war Erna Hosemann, und als ihr Ehemann Franz 1960 starb, der zeitlebens die Arbeit seiner Frau unterstützt und als Vorstandsmitglied mitgetragen hatte, zogen Nähmaschinen und der Schreibtisch um in ihre Wohnung, die nun AWO-Büro war einschließlich des Wohnzimmers. Wegen vieler Krankheiten und zunehmender Kniebeschwerden blieb ihre Schwester Lotte Stephan, die nach Bolivien ausgewandert war, anlässlich eines Deutschlandbesuches 1963 zum Helfen in Fulda, so dass die Wohnung zu klein wurde. Beide Schwestern zogen um in die Schildeckstraße 12, die nun zugleich Geschäftsstelle der AWO Fulda Stadt und Land war, damals halb so groß wie in späterer Zeit: Nähstube, Büro, Sitzungsraum – und manches frohe Fest wie z. B. der 75. Geburtstag von Erna wurde in den Räumen gefeiert. Dass nach dem Ausscheiden meiner Schwiegermutter 1973 aus der aktiven Arbeit sich viele Freunde der Arbeiterwohlfahrt Fulda fanden, um die Arbeit so erfolgreich fortzusetzen, erfüllt mich mit großer Freude und Dankbarkeit. Mich selbst hat ihre menschliche Wärme und Klugheit sehr beeindruckt, und es war mir eine große Freude, dass sie kurz vor ihrem Tode noch den Beginn von „Essen auf Rädern“ hier in Langen miterlebte. Als SPD-Stadtverordnete hatte ich erreicht, dass die hiesige Arbeiterwohlfahrt die Trägerschaft übernahm – und seitdem hat sich das Angebot wesentlich erweitert. Ilse Hosemann Ehrenvorsitzende des Ortsvereins Langen